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Prävention statt Ausbügeln

Das Projekt „Pharmakotherapie-Management Halle“ des Universitätsklinikums Halle (UKH) erhält den mit 20.000 Euro dotierten Lohfert-Preis 2020, der in diesem Jahr zum achten Mal vergeben wird. Ausgeschrieben waren Projekte zum Thema „Messbare Innovationen zur Verbesserung der Patientensicherheit“.

Initiatorin des Projekts ist Dr. Ursula Wolf, die das Pharmakotherapie-Management am Uniklinikum in Halle leitet. Beteiligt an dem Projekt zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit sind Dr. Rüdiger Neef (Abt. Alterstraumatologie, Dept. für Orthopädie, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, UKH), Dr. Thomas Steinke, Dr. Marta Banach, Dr. Henning Baust, Dr. Michael Bomplitz und Dr. Annett Seiffart (Universitätsklinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, UKH).

Dr. Ursula Wolf, Fachärztin für Innere Medizin in Zusatzausbildung Klinische Pharmakologie, begann das Projekt 2011 in der Alterstraumatologie des Uniklinikums und weitete das digital basierte Pharmakotherapie-Management 2015 auf die interdisziplinären Intensivstationen aus.


Projekthintergrund

Weltweit werden mehr als 50 Prozent aller Arzneimittel unangemessen verschrieben, abgegeben oder verkauft. Einer US-Metaanalyse zufolge rangieren unerwünschte  Arzneimittelwirkungen (UAW) auf Platz vier bis sechs der führenden Todesursachen.* Auch in Deutschland sind zwischen fünf und 15 Prozent aller Krankenhauspatienten von UAW betroffen. Vor allem Patienten mit Mehrfacherkrankungen leiden unter medikamentenassoziierten Risiken. Sie nehmen oftmals viele Medikamente gleichzeitig ein (Polypharmazie). Neben dem Leid der Patienten gehen UAW vielfach mit zusätzlicher Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen wie verlängerten Krankenhausaufenthalten einher und stellen damit eine unnötige Belastung des Gesundheitssystems dar. Mit verbesserten Prozessen und Arbeitsabläufen rund um die Arzneimitteltherapie könnten viele UAW vermieden werden, insbesondere wenn sie durch Medikationsfehler wie fehlerhafte Dosierungen oder nicht beachtete Wechselwirkungen bedingt sind.

Das Projekt

Ziel des Pharmakotherapie-Managements Halle ist die Optimierung der stationären medikamentösen Therapie, insbesondere durch die Vermeidung von Medikationsfehlern und UAW, auf Basis von ausführlichen individuellen und patientenorientierten Medikationsreviews. Ausgehend vom Projekt ASTRA (Algorithms for Seniors’ Therapy Amelioration) wurde das Pharmakotherapie-Management ab 2011 unter der Leitung von Dr. med. Ursula Wolf in der Alterstraumatologie des Universitätsklinikums Halle (UKH) etabliert und im Jahr 2015 auf die chirurgischen Intensivstationen (ITS) des UKH erweitert.

Individuelles Medikationsreview als Kernelement

Kernelement des Projekts sind individuelle Patienten- und Medikationsreviews, die auf Grundlage der vollständig digitalisierten Patientendokumentation in der Alterstraumatologie und den ITS des UKH durchgeführt werden. Die medikamentöse Therapie jedes Patienten wird täglich – im Lichte seiner gesamten Medikationsliste, Vorerkrankungen und Diagnosen, Operationen, tagesaktuellen Labor- und Vitalparameter – ausführlich und umfassend analysiert. Diese Analyse berücksichtigt sämtliche Fachinformationen aller Medikamente sowie die relevanten Leitlinien, Standard Operating Procedures (SOPs) und weitere Fachliteratur und ist stets eine Synopsis von Innerer Medizin und klinischer Pharmakologie. Neben Wechselwirkungen im Rahmen der Polypharmazie sind es besonders die additiven Medikamenten- und unerwünschten Wirkungen mit Notwendigkeit der zeitigen Dosisadaptionen bei Organfunktionseinbußen, die Aufmerksamkeit erfordern. Das in seiner Ausführlichkeit optimierte digitale Vorgehen ermöglicht ein Pensum von neun Patienten pro Stunde.

Interdisziplinäre Kooperation auf Augenhöhe

Auf Basis der Ergebnisse der Medikationsreviews erfolgt die Kooperationsarbeit mit telefonischen Beratungskonsilen, Erörterungen und Handlungsempfehlungen an die betreuenden Kollegen auf den jeweiligen Stationen. Auf der Alterstraumatologie werden zudem regelmäßig Visiten mit jeweiliger Problemdarstellung und Absprache zur geänderten Therapieentscheidung durchgeführt. Das erfolgreiche Pharmakotherapie-Management resultiert aus dieser interdisziplinären Kooperation auf Augenhöhe mit meist 1:1-Umsetzung der Therapieempfehlungen. So wurde in der Alterstraumatologie im Konsens die gesamte Schmerztherapie entsprechend umstrukturiert.

Deutlicher Rückgang von Stürzen, Kosten reduzieren sich

Das neu etablierte Pharmakotherapie-Management ermöglicht eine optimierte, demografieorientierte Arzneimitteltherapie am UKH und erweist sich, mit einem deutlichen Rückgang von Delir, Sturzereignissen und Organversagen, als sehr effizient. So konnte auf den ITS im Zeitraum zwischen 2015 und 2018 eine Reduzierung der Kosten des Arzneimittelverbrauchs um 28 Prozent (inkl. Patentausläufe und Preisverhandlungen durch die Apotheke) beobachtet werden. Positive Effekte bestehen darüber hinaus in der Sensibilisierung des gesamten medizinischen Personals bezüglich der z.T. hohen Risiken der Polypharmazie im Alltag. Auf internistisch/pharmakologischer Basis der Expertise von über 28.000 real-life-Medikamentenanalysen ist der nächste Schritt die Erstellung von SOPs für das gesamte UKH und alle interessierten Kliniken in Deutschland sowie in englischer Version.


Fotos: © Bertram Solcher

Klicken Sie sich durch die ganze Fotostrecke vom Projekt "Pharmakotherapie-Management".


*Quelle: The safety of medicines in public health programmes: pharmacovigilance an essential tool. © World Health Organization 2006: S.10,16,17.

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Lohfert-Preis 2020

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