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„Der größte Hebel ist zu verhindern, dass Menschen krank werden.“

20. Januar 2023

Lohfert-Preis

(akt. am 19.04.2023) Die Transformation des Gesundheitssystems in eine nachhaltig agierende und wirkende Versorgungslandschaft erfordert vor allem auch systemische Veränderungen – sei es, durch de-/regulierende Maßnahmen beispielsweise Anreize für nachhaltiges Wirtschaften zu schaffen, sei es durch veränderte Investitionsbedingungen, mit denen die Transformationsmaßnahmen überhaupt finanzierbar werden. Und, so betont Prof. Dr. Christian Schulz, Geschäftsführer der KLUG-Initiative, mit Blick auf das Gesundheitssystem: „Generell lässt sich sagen, dass der Vermeidung von Krankheiten und nicht notwendigen Therapien und Maßnahmen die größte Bedeutung zukommt.“ 

Im Rahmen der Ausschreibung für den Lohfert-Preis 2023 zum Thema „Medizin neu denken - Zukunftsfähige Konzepte für eine nachhaltige Gesundheitsversorgung“ hat er uns folgendes E-Mail-Interview gegeben:

Die Lebensbedingungen und Lebensumwelt haben direkten Einfluss auf die Gesundheit der Menschen. Inwiefern gefährdet der Klimawandel die Gesundheit? Welche konkreten Gefahren ergeben sich für Patient:innen oder die Menschen generell durch den Klimawandel?

Die Klimakrise beeinträchtigt die menschliche Gesundheit in vielfältiger Weise. Hitzewellen führen zu einer erheblichen Übersterblichkeit, allergische Erkrankungen nehmen zu und von Tieren auf Menschen übertragbare Erkrankungen werden häufiger. Auch die mentale Gesundheit wird beeinträchtigt. Das alles wird zunehmen. Dazu kommt, dass in einer fortgesetzten Klimakrise immer mehr Gegenden auf dieser Erde für den Menschen unbewohnbar werden, durch Dürren, Überschwemmungen oder unerträgliche Hitze.

Prof. Dr. med. Christian Schulz, Geschäftsführung und inhaltliche Leitung, Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit, Foto: KLUG
Prof. Dr. med. Christian Schulz, Geschäftsführung und inhaltliche Leitung, Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit, Foto: KLUG

 

Wie trägt das Gesundheitssystem zu Klimawandel und Umweltverschmutzungen bei? Wie relevant ist der Beitrag gesamtwirtschaftlich? Gibt es Bereiche, die besonders umwelt-und klimaschädlich sind?

Der Gesundheitssektor ist für 5 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich, das gilt auch für Deutschland. Die Belastung der Umwelt durch chemische Substanzen, die bei der Herstellung oder Verstoffwechselung von Arzneimitteln entstehen, ist gewaltig. Dazu kommt ein wachsender Anteil an Einweg-Artikeln mit dem entsprechenden Ressourcenverbrauch. Generell lässt sich sagen, dass der Vermeidung von Krankheiten und nicht notwendiger Therapien und Maßnahmen die größte Bedeutung zukommt.  Operativ tätige Krankenhäuser sind sicherlich die größten Emittenten von Treibhausgasen, dort wiederum entsteht der größte Teil der Emissionen in den Lieferketten. Die größte Einzelwirkung ist zu erzielen, indem auf besonders klimaschädliche Narkosegase verzichtet und auf gleichwertige oder bessere Alternativen ausgewichen wird.

Stichwort „Klimaschutz ist Gesundheitsschutz“: Welche Maßnahmen können helfen, die Gesundheitsversorgung klimafreundlicher und damit nachhaltiger zu machen? Wo steht Deutschland?

Deutschland steht nicht besonders gut da. Derzeit werden etwa 700 kg CO2 pro Mensch und Jahr emittiert. Der Hauptgrund ist die Krankheitslast aufgrund des ungesunden Lebenstils vieler Menschen, der durch einen zu hohen Konsum tierischer und hochverarbeiteter Lebensmittel und dem Mangel an Bewegung bedingt ist. Im Krankenhaus müssen alle Handlungsfelder berücksichtigt werden: die Reduktion des Energieverbrauchs, die energetische Sanierung der Immobilien, die Energiebeschaffung, aber eben auch die bereits erwähnten Lieferketten und insbesondere der Einkauf, die Ernährung von Patient:innen und Mitarbeitenden, Mobilität und Abfallwirtschaft.

Thema Klimagerechte Gesundheitseinrichtungen: Im Februar 2023 gab Prof. Schulz der kma ein weiteres Interview

Wie muss das Gesundheitssystem angepasst werden, um mit den zunehmenden klimatischen und sonstigen Umweltveränderungen besser umgehen zu können?  Was sind – neben den Maßnahmen, die die einzelnen Einrichtungen ergreifen können - in Ihren Augen die wichtigsten Hebel, um das Gesundheitswesen widerstandsfähiger gegen die Herausforderungen der Klimakrise zu machen?

Der größte Hebel ist zu verhindern, dass Menschen krank werden. Das Wichtigste ist daher im Moment, sich in der Breite des Gesundheitssektors klar zu werden, unter welchen Rahmenbedingungen wir mutmaßlich in zehn oder 30 Jahren Gesundheitsversorgung leisten werden müssen: nämlich mit weniger finanziellen und personellen Ressourcen mehr Menschen zu versorgen. Im besten Falle sogar, ohne dass es zu Qualitätseinbußen kommt. Erst wenn wir das verstehen, erlangen wir die Bereitschaft, in angemessen kurzer Zeit im großen Stil Dinge zu verändern. Dass nur ein ressourcenschonender, klimaneutraler Gesundheitssektor nebenwirkungsarm ist, ist eine Selbstverständlichkeit.
 

Was kann jede:r einzelne, speziell auch Patient:innen, tun, um aktiv einen positiven Beitrag bei der notwendigen Transformation leisten?

Es ist zuvorderst Aufgabe der im Gesundheitssystem arbeitenden Menschen und vor allem der Führungskräfte, die Transformation zu einem ressourcenschonenden Gesundheitssystem voranzubringen. Die Patienten haben zwar ein zunehmendes Bewusstsein und werden Gesundheitseinrichtungen zunehmend auch nach Nachhaltigkeitskriterien auswählen, zunächst aber sind sie vor allem Betroffene und in einem Abhängigkeitsverhältnis. Sie sind die letzten, von denen ich einen positiven Beitrag einfordern würde.
 

Worin liegt das Ziel von KLUG und wie trägt der Verein zur Verbesserung der Situation bei? Was waren die größten Erfolge seit der Gründung im Jahr 2017 und was haben Sie sich für das Jahr 2023 vorgenommen?

KLUG hat ein starkes Netzwerk zu Akteuren in Gesundheitseinrichtungen, Organen der Selbstverwaltung und wissenschaftlichen Institutionen. Unser gemeinsames Ziel ist, die Transformation zu einer gesunden Lebensweise auf einer gesunden Erde voranzubringen. Das gelingt, indem KLUG konsequent herausstellt, wie unauflöslich die Gesundheit der Menschen von der Gesundheit der Ökosysteme der Erde abhängt. Das dafür wichtigste war bisher die Initiierung der Health for Future Bewegung, die Gründung der Planetary Health Academy und das Einbringen der politikwissenschaftlichen Perspektiven durch das Centre for Planetary Health Policy. 2023 wird sich KLUG noch stärker auf die Umsetzung von Projekten konzentrieren und hat dafür einige sehr starke Partner gewonnen. Hauptziel ist, dass wir schnell viele genug werden, um die Transformation kraftvoll voranzubringen. Der Gesundheitssektor wird dabei eine zentrale Rolle spielen.


Dass gesellschaftliche  Veränderungen manchmal ganz schnell passieren, hängt auch von der "kritischen Masse" veränderungsbereiter Menschen ab. Sie können eine „positive Ansteckungskette“ auslösen. Anlässlich ihres fünften Geburtstags widmet sich KLUG in einer Reihe Veranstaltungen diesen sog. sozialen Kipp-Interventionen in Theorie und Praxis. Am 23. Januar 2023 werden im Munich Science Communication Lab (MSCL) der Prof. Dr. Harald Lesch, LMU München, Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann vom Helmholtz Zentrum München und KLUG-Mitbegründer und Vorsitzender, das Konzept diskutieren und in einem interaktiven Livestream zugänglich machen. Anmeldung hier: https://planetary-health-academy.de/de/event-2/


Das Interview führte Dr. Thomas Lehnert. Das Headerfoto stammt von Bertram Solcher für den Lohfert-Preis 2022.

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