Lohfert-Preis
Interprofessionelle Team-Trainings erhöhen nicht nur die Sicherheit von Patient:innen und ihren Familien, sondern stärken auch die Mitarbeitenden in ihrem herausfordernden Arbeitsalltag. Das Projekt, geleitet von Dr. Urs Mücke und koordiniert von Anna-Lena Herbach, besteht aus verschiedenen Workshop-Angeboten, die neben speziellen Kompetenzen für die Kinderonkologie interprofessionelle Teamarbeit und Kommunikation fördern. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf der gemeinsamen Schulung von medizinischem und pflegerischem Personal. Dazu und zu vielen weiteren Aspekten des prämierten Programms haben wir das Preisträgerteam in einem Podcast-Interview befragt.
Alternativ können Sie das Interview auf Spotify und Deezer hören.
Im Gespräch beschreiben wir mitunter Bilder von Bertram Solcher. Der Medizinfotograf hat das Projekt fotografisch festgehalten – diese Bilder werden am 18.09.2024 im Rahmen der Preisverleihung in den Räumlichkeiten des Hamburger Gesundheitswirtschaftskongresses, in der dann erscheinenden Preisträgerbroschüre sowie auf unserer Website ausgestellt.
Kinderonkologie ist ein Arbeitsumfeld, das hochspezialisiert ist mit vielen, nicht nur technischen, sondern auch emotionalen Herausforderungen. Nicht nur mit Blick auf die Umsetzung von Chemotherapien und invasiven Prozeduren, sondern auch für die Zusammenarbeit im Team, mit den Familien und Patient:innen ist gelingende interprofessionelle Teamarbeit besonders wichtig.
„Das, was im Fußball, Handball und der Luftfahrt schon gut funktioniert, nämlich gemeinsam zu trainieren, sollte auch für Mitarbeiter:innen in der Kinderonkologie funktionieren.“
Insbesondere in den Zeiten von Belastungsspitzen, die es in der Kinderonkologie immer wieder gibt, kann ein gut aufgestelltes, interprofessionelles Team, das einander „psychologische Sicherheit“ gibt, besser arbeiten.
„Ein Team, das ständig neu aufgestellt wird -- jeder Sporttrainer/ jede Trainerin weiß das -- hat in der Leistung im Arbeitsalltag ein Problem. Deswegen sind wir bemüht, mit gemeinsamem Training Fluktuation zu verhindern, neue Arbeitskräfte, insbesondere Fachkräfte, in unseren Bereich zu ziehen und dann auch zu halten. Und das geht gemeinsam am besten. Und deswegen sind wir interprofessionell aufgestellt.“
… dass insbesondere die Pflegekräfte in ihrer Rolle als Lehrende gestärkt werden. Sie erleben stärker die eigene Kompetenz, berufliche Autonomie und soziale Gemeinschaft – das motiviert den/die Einzelne:n und stärkt die Teamarbeit.
Jetzt zur Preisverleihung am 18.09.2024 anmelden
Der SICKO Classic Workshop richtet sich an Mitarbeitende, die bereits in der Kinderonkologie arbeiten, interprofessionell aus dem pflegerischen und ärztlichen Bereich. Sie trainieren über zwei Tage, u.a. Notfallsituationen und anhand von Simulationen, dabei stets mit Fokus auf Teamtraining und Kommunikation, hier vor allem bei emotional belastenden Themen wie „breaking bad news“. Auch wird das Crew Resource Management aus der Luftfahrt in die Kinderonkologie integriert.
SICKO Mobil ist die mobile Variante von SICKO Classic: Das SICKO-Team besucht die Kliniken, die gerne ihre Kinderonkologie mithilfe des SICKO-Trainings stärken möchten.
In SICKO Junior trainieren Medizinstudierende und Auszubildende der Pflege gemeinsam in einem Ein-Tages-Workshop.
„Vor allem liegt aber dort der Fokus darauf, in einem interprofessionellen Team zusammenzuarbeiten. Das ist Kern von SICKO und auch Kern der Realität auf Station. Denn Pflege und ärztliches Personal arbeiten Hand in Hand miteinander.“
SICKO Digital bietet zeit- und ortsunabhängig sowie kostenfrei SICKO-Inhalte auf der Homepage www.sicko-training.de an. Die Teilnahme wird - wie bei allen SICKO-Workshops – zertifiziert und mit Fortbildungspunkten honoriert.
SICKO Train-the-Trainer trainiert Mitarbeiter:innen aus Kinderonkologie-Abteilungen anderer Kliniken. Die SICKO Inhalte lassen sich als Ganztagesangebot oder auch als einzelne Abschnitte trainieren, „zum Beispiel in einer Mittagsfortbildung, um interprofessionelle Teams schon zur Mittagszeit gemeinsam zusammenzubringen.“
Mit Beginn der Vorbereitung eine:r Patient:in auf die Lumbalpunktion zeigt sich die Wirkung der entwickelten SICKO-Instrumente: im Wissen um die Handhabung des Chemotherapie-Plans, die Kennzeichnung der Patient:innen, an denen Prozeduren vorgenommen werden, wie ein Schild an der Tür, dass das Kind nüchtern bleiben soll, oder die Checkliste in der Patientenakte, die erst abgehakt sein muss, bevor der/die Patient:in behandelt wird. Besonders wichtig: Morgens brieft sich das interprofessionelle Team mit allen Mitarbeiter:innen, die an dem Tag im Rahmen der Lumbalpunktion aktiv werden.
„So ein Briefing am Anfang des Tages kennen viele aus der Anästhesie. Für uns in der Kinderonkologie ist das etwas ganz Neues, Innovatives, was vom Team sehr begrüßt wird. Innerhalb von fünf Minuten weiß jede:r, wer in dem leider ja stetig wechselnden Team zusammenarbeitet, wer in welcher Funktion aktiv wird und auch, wie man sich verhalten soll, wenn ein Beinahe-Zwischenfall droht. Also die Möglichkeit, im Team zu wissen, ich darf mich melden, ich darf Bescheid sagen und weiß dann auch wie, ist ganz wichtig, bevor es überhaupt mit dem Patienten in Richtung Narkose und invasive Prozedur geht.“
Auch Simulationen wie die Durchführung einer Lumbalpunktion werden interprofessionell trainiert, um bei den Auszubildenden einen Perspektivwechsel zu erreichen.
Das Train-the-Trainer Konzept basiert auf dem SICKO Classic Workshop, den die künftigen Trainer:innen zuvor absolvieren sollen. Die neu ausgebildeten Trainier:innen integrieren das SICKO-Programm anschließend in ihren Einrichtungen. Deswegen umfasst das Konzept nicht nur Workshops, sondern auch eine kontinuierliche Begleitung durch Online-Meetings mit SICKO-Tutor:innen aus Hannover und externen Kliniken. In diesen Meetings werden der Bedarf, die Ressourcen sowie die Ziele der teilnehmenden Klinik besprochen. Anschließend erfolgt der SICKO Train-the-Trainer Workshop, in dem didaktischen Fähigkeiten vermittelt werden. Zudem wird ein Probeworkshop gemeinsam mit den Tutor:innen entwickelt und in der externen Klinik durchgeführt. Das Feiern von Erfolgen ist dabei wichtig, um die Umsetzung des Konzepts in der Klinik zu verstetigen. Pflegekräfte und ärztliche Mitarbeitende fühlen sich nach den Didaktiktrainings gestärkt und sicherer in ihrer Rolle als Trainer:in.
„Wir erleben bei den Train-the-Trainer Workshops, wie insbesondere Pflegekräfte sich manchmal ganz unwohl fühlen in der Rolle vor einer Gruppe, vor einem Team, vielleicht auch vor Oberärztinnen und Oberärzten zu stehen und die Teamtraining oder Arbeit am Simulator anleiten sollen. Da ist es total großartig, am Ende eines solchen Tages zu sehen, wie gestärkt Pflegekräfte und ärztliche Mitarbeiterinnen aus so einem Didaktiktraining gehen.“
Das SICKO-Kernteam wird durch die Deutsche Kinderkrebsstiftung gefördert und kann zurzeit jährlich drei bis vier Classic Workshops und sechs Junior Workshops anbieten sowie nach Bedarf Train-the-Trainer Workshops. Mehr Informationen dazu unter www.sicko-training.de.
Gäste aus anderen Fachbereichen gibt es insbesondere aus der Neonatologie und Intensivmedizin, und zwar von allen Hierarchiebenen.
Die Projektkoordinatorin Anna-Lena Herbach bekleidet eine Teilzeitstelle, zudem wird eine halbe Stelle von Dr. Urs Mücke gefördert.
„Für mich ist ganz wichtig, dass wir nicht nur Didaktik-Expertinnen und -Experten auf der einen Seite haben und Kliniker innen auf der anderen. Deswegen ist auch meine Stelle eine geteilte, zum Teil Didaktik und Teamtraining, zum Teil Oberarzt in der Kinderonkologie.“
Es gibt einen Alumni Club für alle ehemaligen Teilnehmenden, sowohl für diejenigen, die am SICKO Junior teilnehmen als auch für diejenigen, die am SICKO Classic Workshop teilgenommen haben. Die Classic-Teilnehmenden haben dann auch das größte Interesse für Train-the-Trainertätigkeiten.
„Wir sind - wenn man jetzt in der Kinderklinik, also dem Zentrum bei uns schaut - die Abteilung, die sich insbesondere im Bereich der Pflegekräfte eigentlich keine Personalsorgen machen muss.“
So sind die Workshop-Teilnehmenden nach den Workshops sehr motiviert und entwickeln Ziele für die eigene Arbeit.
„Diese Power, die nach dem Workshop spürbar ist, das ist ein einzigartiges Phänomen. Das habe ich vorher in keinem anderen Workshop gespürt. Das ist großartig, denn dann kommt die Motivation zurück, für seinen eigenen Arbeitsbereich sich stark zu machen und zu bleiben.“
Damit ein interprofessionell aufgestelltes Team sich auch im Arbeitsalltag bewährt, nehmen beim Classic Workshop sechs Pflegende und sechs ärztliche Mitarbeiterinnen teil. Begleitet werden sie von drei bis vier Trainerinnen.
„Unsere Arbeit besteht auch darin, mit den Leitungspersonen in unserer Abteilung in den Austausch zu gehen, um das Personal freizustellen. Und wir haben das große Glück, dass wir vollste Unterstützung bekommen und immer geschaut wird, dass tatsächlich neues Personal für unseren Workshop freigestellt wird.“
Der Korkenziehertrick und das Erklären zum Anziehen steriler Handschuhe sind didaktische Tricks, um strukturiertes Erklären zu lehren: Die Lernenden sollen darauf achten, wie ihnen komplexe Vorgänge erklärt werden, um sie dann selbst fehlerfrei erklären zu können. Anstatt der problematischen „One say, one teach, one do“-Methode verwenden wir gut belegte Methoden, um Fehlerketten zu vermeiden.
Jetzt zur Preisverleihung am 18.09.2024 anmelden
Geplant sind der Ausbau des Digitalangebots, ein Podcast und die wissenschaftliche Evaluation der Train-the-Trainer-Aktivitäten sowie eine Fortbildung im Bereich der Resilienz.
„Das Thema Resilienz und Umgang mit persönlichen Belastungsgrenzen ist doch immer mal wieder in aller Munde. Aber so richtig in den Arbeitsalltag reingebracht haben wir das noch nicht. Und viele Teams in der Kinderonkologie auch nicht. … Deswegen wird es eine ganz konkrete gemeinsame Aus- und Weiterbildung im Bereich der Resilienz geben, um auch da wieder andere Teams interprofessionell stärken zu können. Denn da mache ich mir gar nichts vor: Belastungsspitzen werden wieder kommen, wahrscheinlich schon heute und morgen. Und sie werden auch nicht weniger.“
Hannover/Hamburg, im Juni 2024
Der Lohfert-Preis wird seit dem Jahr 2012 mit dem Ziel ausgeschrieben, innovative Projekte zur Verbesserung der Patientensicherheit und -orientierung zu fördern. Das Ausschreibungsthema des diesjährigen Lohfert-Preises lautete: "Fachkräftemangel als Impuls: Strategien zur Entwicklung und Stärkung des Gesundheitspersonals.“ Der Preisträger 2024 wurde von der unabhängigen, hochkarätig besetzten Jury aus 82 eingegangenen Bewerbungen ausgewählt. Die Preisverleihung und Vorstellung des Preisträgerprojekts findet am 18. September 2024 im Rahmen des Hamburger Gesundheitswirtschaftskongresses statt.
Moderation, Redaktion: Tanja Brunner, Julia Hauck / Produktion: Julia Hauck / Faktencheck: Dr. Thomas Lehnert / Headerfoto: Bertram Solcher für den Lohfert-Preis 2024 / Jingle, Intro, Outro: kurtcreative.de / Äußerungen unserer Gesprächspartner:innen geben deren eigene Auffassungen wider. Die Christoph Lohfert Stiftung macht sich Äußerungen ihrer Gesprächspartner:innen in Interviews und Beiträgen nicht zu eigen.