Projekt
Alexander, wann sind Sie das erste Mal Tanz begegnet? Und wie sind Sie auf die Idee gekommen, Kammermusik und Ballett zu verbinden?
Ich bin in Sydney aufgewachsen, wo mein Vater eine Ballettschule leitet, die ihre Schüler zu einigen der größten Ensembles der Welt schickt, wie beispielsweise dem Royal Danish Ballet. In der Kindheit habe ich also viele Aufführungen erlebt, und da mein Vater auch Pianist ist, schlief ich fast jeden Abend zu den Klängen berühmter Pas de deux und Soli ein, die er auf seinem Klavier übte und transkribierte. Nach der Schule zog ich nach Dänemark, um an der Royal Danish Academy of Music zu studieren.
Viele Jahre lang habe ich mich ausschließlich auf die Vorbereitung von Soloklavier und Kammermusik für Konzerte und Wettbewerbe konzentriert. Dann begann ich 2015 mit Tänzern des Staatsballetts Berlin und des Royal Danish Ballet beim jährlichen Sommerfestival Verdensballetten aufzutreten, das übrigens auch jedes Jahr auf Sylt auftritt! (Anm.d.R. : am 13.07.2023 hier). Im darauffolgenden Jahr begann ich mit dem dänischen Tänzer und Choreographen Tobias Praetorius zu arbeiten, der ein Stück kreierte, das wir in Kopenhagen aufführten.
Auf eine neue Art klassische Kammermusik erlebbar machen
2018 erhielt das Trio eine beträchtliche künstlerische Förderung der Augustinus-Fonden. Die Begründung lautete, dass wir das dänische Kulturleben mit neuer Kunst bereichern und auf eine neue Art klassische Kammermusik wahrnehm- und erlebbar zu machen. Im folgenden Jahr wurde Kammerballetten der größte dänische Theaterpreis in der Kategorie "Produktion des Jahres" verliehen.
Tanz und Musik berühren die Essenz dessen, was es heißt, Mensch zu sein.
Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich 2018 Tobias Praetorius' "Bach Solo-Duett" aufführte und sofort das Gefühl hatte, dass dies für mich der aufregendste und künstlerisch beglückendste Aufführungsmoment war, den ich je erlebt hatte. Es geht um den Nerv, die Intimität und die Intensität dieser beiden Kunstformen zusammen. Tanz und Musik berühren die Essenz dessen, was es heißt, Mensch zu sein.
Das Spektrum der Stile ist sehr breit: Von modernem Ballett eines Choreografen wie Tobias Praetorius bis zu hin Modern Dance bei Ella Rothschild. Es geht sehr abstrakt zu, wenn es die Musik zum Ausgangspunkt nimmt, wie in Oenothera. Oder die Choreografie widmet sich konkret – und sehr spielerisch – einem Thema, wie bei Absolute Pitch Black – was interessiert sie bei der Auswahl der Choreograf:innen?
Als Musiker verbringt man Jahrzehnte damit, sich in die abstrakte Sprache der Musik zu vertiefen, mit der die Komponisten, die wir studieren und lieben gelernt haben, ihre geheimnisvollen und wortlosen Geschichten erzählen.
Die Zusammenarbeit mit einem oder einer Choreograph:in ist äußerst spannend, weil wir als Musiker – ebenso wie das Publikum - zu einer neuen, sehr persönlichen Perspektive und Interpretation der Musik eingeladen werden.
Die Musik wird zu einem Anker und jede Choreografie zu einem neuen, magischen Schiff mit eigenem Ziel und eigener Besatzung. Die Werke werden zu kraftvollen neuen Gefäßen der Fantasie und Stimulation, denn diese Stücke werden in der Regel viele Male aufgeführt, manchmal von verschiedenen Tänzer:innen und immer für ein neues Publikum. Unabhängig davon, was man als Zuschauer über das Stück fühlt oder denkt, ist es für uns ein ganz besonderes Gefühl und Privileg, Teil der Besatzung dieses Schiffes zu sein. Wenn ich mich an eine:n Choreograph:in wende, ist das in der Regel das Ergebnis monatelanger Recherchen und oft auch die Frage, mit wem die Tänzer:innen selbst gerne zusammenarbeiten würden. Es ist uns wichtig, weiterhin eine vielfältige Gruppe von Choreograph:innen und Tänzer:innen zu finden und zu fördern.
Mehr Infos zu Kammerballetten in der Elbphilharmonie
Wer wählt die Musik aus?
Für jede Kreation beginne ich viele Monate vorher einen Dialog mit meinen Kollegen im Trio Vitruvi und den Choreograph:innen.
Wie entstehen die Stücke? Wie probt Ihr?
Wir laden die Choreograph:innen nach Kopenhagen ein, um dort mit den Tänzer:innen zu arbeiten, in der Regel in einem der Räume des Royal Danish Theatre. Die eigentliche Entstehungszeit variiert von Stück zu Stück, erstreckt sich aber in der Regel etwa über einen Monat. Seit 2018 präsentieren wir jedes Jahr im August die Uraufführung mehrerer Stücke an der Royal Danish Opera House in einer Reihe von Shows im „Takkelloftet“, dem Blackbox-Theater der Oper – so auch in diesem Sommer vom 12. bis 20. August.
Zu Ihrer Komposition in Selvportraet – wie ist das Stück entstanden?
Ich traf Paul (der Choreograf des Stückes, Paul Lightfoot, Anm.d.R.) zum ersten Mal 2020 in Kopenhagen, woraufhin ich eingeladen wurde, ein kleines Stück namens Unspoken zu komponieren, das Paul für Sebastian Pico Haynes choreografierte. Danach vereinbarten Paul und ich, ein längeres Stück für Kammerballetten im Jahr 2021 zu komponieren - daraus wurde Selvportræt, das abschließende Stück des Abends in der Elbphilharmonie.
Für mich als Komponist war es besonders lohnend, mit Paul zu arbeiten, weil es mir die Möglichkeit gab, in den Reichtum seiner besonderen choreografischen Sprache einzutauchen.
Jede Bewegung, jede Geste, jeder Ausdruck ist ein kleines, aber notwendiges Rädchen im Getriebe einer größeren Geschichte, die er mit diesem Stück erzählt. Wo Worte versagen, setzt die Sprache der Musik und des Tanzes ein.
Stichwort Neue Choreografien im August? Können Sie dazu etwas sagen?
Wir haben vier Choreograph:innen eingeladen, in diesem Sommer in Kopenhagen Werke für 16 Tänzer:innen zu schaffen: Ella Rothschild (Israel), Paul Lightfoot (Großbritannien), Tobias Praetorius (Dänemark) und Laura Arend (Frankreich). In dieser Spielzeit werden Kammerballetten Werke in vielen Ländern zeigen, unter anderem in Taiwan, Italien, Finnland und Lettland.
Jacob, Niklas und ich gründeten das Trio Vitruvi im Jahr 2013. Kurz darauf gewann das Trio einige internationale Kammermusikpreise und trat in Konzertsälen auf der ganzen Welt wie der Carnegie Hall, der Wigmore Hall und dem Salle Cortot auf. Ein Jahrzehnt lang haben wir gemeinsam die Musik gespielt, die wir lieben. Es war eine erstaunliche Reise, intensiv an all dieser wunderbaren Musik zu arbeiten und sie dann gemeinsam mit vielen Menschen auf der ganzen Welt genießen zu können. Wir sind drei sehr unterschiedliche Menschen, die einfach die große Liebe zur Kammermusik und die Intensität der Ballett-Aufführungen teilen.
Kopenhagen, Hamburg, im März 2023
Die Gruppe „Kammerballetten“ tritt am 06.04.2023 im Großen Saal der Elbphilharmonie zugunsten der Christoph Lohfert Stiftung auf. Das innovative Ensemble verbindet modernes Ballett mit Kammermusik – live gespielt von den Musikern des Trio Vitruvi. Die Tänzer:innen sind zum Großteil am Royal Danish Ballet engagiert sowie bei weiteren Spitzenensembles. Ida Praetorius, Erste Solistin am Hamburg Ballett, wird in der Choreografie Oenothera ihres Bruders Tobias Praetorius tanzen, darüber hinaus werden weitere für Kammerballetten geschaffene Ballettwerke von Ilya Jivoy, Sebastian Kloborg, Kristian Lever und Paul Lightfoot zu sehen sein. Mehr Infos hier. Prinzessin Benedikte von Dänemark gibt den Musikern und Tanzschaffenden die Ehre und hat ihren Besuch der Vorstellung angekündigt (s. PresseInfo)