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"Man muss nicht immer das schwere Gespräch üben und Schauspieler einladen. Es geht darum zu sensibilisieren und sich die Perspektive der Patientinnen und Patienten bewusst zu machen."

7. April 2022

News

Über die Kommunikation zwischen Ärzt:innen und Patient:innen wurde in den vergangenen Jahren viel veröffentlicht – es gibt Handbücher mit Kommunikationstechniken speziell für den Medizinberuf, Selbsttests und Trainings mit Schauspielenden als Patient:innen. Ärztliche Gesprächsführung ist im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin 2020 enthalten und ein nationales longitudinales Mustercurriculum Kommunikation in der Medizin in der Erprobungsphase.

Kurzum: Die Kommunikationskompetenz von Ärzt:innen ist ein Thema geworden. Und gerade vor dem Hintergrund knapper werdender (Zeit-)Ressourcen kann man dieses Thema nicht oft genug erwähnen. Denn, wie Dr. Eckart von Hirschhausen sagt: „Die Kunst in der Gesprächskunst und in der Heilkunst gilt es wiederzuentdecken“. Er empfiehlt dafür das vorliegende Buch „Ärztliche Kommunikation für Medizinstudierende“ von Dr. Jutta von Campenhausen.

Wir haben sie dazu befragt:

 

Die Textversion des Gesprächs finden Sie weiter unten.

 

Dr. Jutta von Campenhausen
Dr. Jutta von Campenhausen

Dr. Jutta von Campenhausen ist Biologin und Anthropologin. Sie besuchte die renommierte Henri-Nannen-Schule und arbeitete als Wissenschaftsjournalistin. 2016 promovierte sie am Hamburger Universitätsklinikum, arbeitete am dortigen Institut für Geschichte und Ethik der Medizin bis 2020 als wissenschaftliche Mitarbeiterin und ist als Dozentin für Wissenschaftsjournalismus tätig.


Textversion des Interviews

CLS: Frau von Campenhausen, herzlich willkommen - wie schön Sie zu sehen! Wenn auch nur digital, aber immerhin. Ich glaube, live haben wir uns das letzte Mal beim Gesundheitswirtschaftskongress gesehen. Nun sehen wir uns immerhin bei Zoom (Leider mit schlechter Sprachqualität, Anmg.d.R.). Ich freue mich sehr und bin gespannt auf das Interview. Sie haben ein Buch geschrieben, nämlich ärztliche Kommunikation speziell für Medizinstudierende. Dr. Eckart von Hirschhausen appelliert in seinem Vorwort zu Ihrem Buch „Die Kunst in der Gesprächskunst und in der Heilkunst gilt es wiederzuentdecken“. Dafür scheint mir ihr Buch tatsächlich besonders geeignet. Sie schreiben gleich im ersten Absatz Ihres Buches, dass laut amerikanischen Studien pro Jahr 73 Milliarden Dollar an Kosten durch misslungene ärztliche Kommunikation entstehen. Können Sie das etwas näher erläutern?

Jutta von Campenhausen: Die Medizin hat als wichtigste und erste Maßnahme immer das Gespräch. Das Gespräch ist eine vertrauensbildende Maßnahme. Wenn es nicht gelingt, das Vertrauen herzustellen, ist das Risiko groß, dass der Patient oder die Patientin sich beispielsweise eine Zweit-, Dritt- oder auch Viertmeinung holt oder nicht aktiv an der Therapie teilnimmt. So entstehen unter anderem diese unglaublichen Kosten. Das sind natürlich Schätzungen beziehungsweise es gibt viele schwer einzuschätzende Parameter, die da mitspielen.

Grundsätzlich ist es aber so: Wenn das Gespräch nicht gut läuft, ist das Vertrauen nicht da.

Und wenn das Vertrauen nicht da ist, ist die Compliance nicht da – also die Bereitschaft der Patientin oder des Patienten mitzumachen und das zu tun, was der Arzt/die Ärztin anordnet. Dadurch entstehen diese Kosten.

CLS (2:30): Was zeichnet denn für Sie eine gelungene Kommunikation zwischen Ärzt:in und Patient:in aus? Oder was läuft in der Arzt-Patient:Innen Kommunikation noch häufig falsch?

Jutta von Campenhausen: Ich glaube, das Allerwichtigste ist, dass die Kommunikation auf Augenhöhe stattfindet. Das wird zwar gesagt und es ist Allgemeinplatz. Aber es heißt tatsächlich, dass eine ein ärztlicher Experte ist, der Ahnung von Medizin hat. Aber auch der Patient/die Patientin ist ein Experte, nämlich für den eigenen Körper und das eigene Empfinden. Das ernstzunehmen, wahrzunehmen, deutlich zu machen, dass man das wahrnimmt – das hebt das Gespräch auf eine Ebene, auf der Dinge möglich sind, die bei diesem paternalistischem Ansatz „Ich sag´ Dir, was Du hast und ich sag´ Dir, was Du machen musst“ nicht stattfinden. Und wenn man den Patienten mit ins Boot nimmt und zeigt, dass man gemeinsam an einer Lösung sucht, dann werden diese Lösungen erfahrungsgemäß auch besser.

CLS (3:31): Sie schreiben, dass ein Arzt den Patienten im Gespräch durchschnittlich nach 20 bis 30 Sekunden unterbricht, auch aus der Sorge heraus, dass das Gespräch zu lang würde. Dabei reden Patienten im Schnitt, „wenn man sie lässt, rund 90 Sekunden, die wenigsten füllen drei Minuten“. Warum ist es so wichtig, die Patient:innen ausreden zu lassen? 

Jutta von Campenhausen:Das Ausreden lassen wird immer thematisiert, wenn es um ärztliche Kommunikation geht. Eigentlich ist es wahnsinnig banal. Es ist allein eine Frage der Höflichkeit. Aber tatsächlich ist es so, wenn man ausreden darf oder einen Gedanken zu Ende führen kann, wird die Sache auch rund. Wenn jemand ins Wort fällt und man merkt, dass man gar nicht sagen kann, was man loswerden will, dann führt das zu einem Gesprächsklima, das nicht konstruktiv ist. Also zum einen ist es höflich, zum anderen ist es sinnvoll, sich zunächst einmal die Faktenlage anzuhören. Wenn man sich die Beschwerden nicht erzählen lässt, ist es ganz schwer, auf die Beschwerden einzugehen. Außerdem leidet die Gesprächsatmosphäre extrem darunter, wenn man Menschen nicht ausreden lässt.

CLS (5:00): Sie schreiben weiterhin, um eine vertrauensvolle Atmosphäre herzustellen, sei es nötig, den Patienten/die Patientin zu loben. Warum loben?

Jutta von Campenhausen: Ja, das klingt ein bisschen doof. Aber tatsächlich kostet all das ganz wenig Zeit. Ärzte haben immer Sorge wegen der Zeit. Das Wartezimmer ist voll und sie haben nicht genug Zeit für die Patienten.

Ein gutes Gespräch zu führen, dauert überhaupt nicht länger als ein schlechtes.

Eher kürzer. Wenn man gerade und vernünftig in einer guten Gesprächsatmosphäre auf den Punkt kommt, ist das Gespräch konstruktiver und schneller vorbei, als wenn man irgendwie rumlaviert. Das zu der Zeitfrage. Das Lob ist die Kurzform für „Auf Augenhöhe wahrnehmen“, anerkennen. Das bedeutet nicht ein Lob im engeren Sinne, sondern ich meine damit, dass man wahrnimmt, was die Patienten leisten.

Sätze wie „Da haben Sie ja ganz schön was ausgehalten“, „Gut, dass Sie gekommen sind“, „Danke, dass Sie mir das erzählen“ – das würde ich unter Lob zusammenfassen.

Und es sind einfach Äußerungen, die eine Wertschätzung zeigen und auch eine Wahrnehmung für das, was der Patient mitbringt. Und wenn man als Patient spürt, ok, der hat jetzt gesehen, wie es mir geht und der hat verstanden, wie ich gelitten habe, dann ist man auch offen für das, was der Arzt sagt.

CLS (6:40): Das kann ich gut verstehen. Sie erläutern in Ihrem Buch neben diesen  prinzipiellen Einstellungen unterschiedliche, anlassbezogene Techniken und Lehrmodelle, mit interessanten Akronymen wie SPIKES für “schlechte Nachrichten“ oder das NURSE-Modell für den Umgang mit Emotionen. Ich will darauf jetzt gar nicht konkret eingehen. Sie nehmen auch gleich vorweg, dass die Modelle in der Theorie gut klingen, die Praxis aber leider meist anders aussieht. Hier geben Sie Tipps, worauf es wirklich ankommt, auch wenn Raum, Zeit und Ruhe fehlen. Die wichtigste Voraussetzung scheint mir dabei zu sein, dass sich die Behandelnden eine gewisse Stressresistenz aneignen und in der Situation immer wieder auf die Meta-Ebene wechseln und gucken: Was passiert da gerade? Wie geht es dem Patienten hier? Wie empfinde ich die Situation? Und das auch durchaus benennen. Ich finde das sehr herausfordernd. Wie erlerne ich diese Fähigkeit zur Selbstreflexion – und was kann ich als Arbeitgeber eigentlich dafür tun, um diese Fähigkeiten zu fördern?

Jutta von Campenhausen: Das war jetzt ganz viel. Also es gibt diese Techniken, über die man viel lesen und die man auch auswendig lernen kann. Aber tatsächlich – wenn man sich die genau anschaut – haben die am Ende alle die gleiche Grundstruktur und die gleichen wesentlichen Faktoren:

Mein Lieblingsakronym ist das WWSZ für Warten – Wiederholen – Spiegeln – Zusammenfassen. Wenn man das kann, dann kann man sowohl ein leichtes Gespräch als auch ein trauriges, schwieriges Gespräch, bei dem es ums Sterben geht, gut führen.

Das ist wie Klavierspielen lernen. Um später Klavierkonzerte von Rachmaninov zu spielen zu können, muss man mit Tonleitern anfangen. Wenn man die Technik gut beherrscht, kann man eine breite Palette von Gesprächen gut führen. Man muss nicht für Streitgespräche, leichte Gespräche, schwierige Gespräche verschiedene Techniken lernen. Es gibt zwar die verschiedenen Akronyme. Aber grundsätzlich wichtig ist, dass man sich grundsätzlich Gedanken darüber macht, wie kommuniziere ich eigentlich, was kommt an.

(9:15): Und Ihre Frage nach dem Arbeitgeber: Der kann dafür sensibilisieren, der kann Schulungen anbieten – so etwas mache ich auch, wie auch andere. Und man muss auch nicht immer das schwere Gespräch üben und Schauspieler einladen. Es geht darum zu sensibilisieren und sich die Perspektive der Patientinnen und Patienten bewusst zu machen. Zum Beispiel ist es ein Problem, dass viele Ärzt:innen ganz selbstverständliche Dinge nicht sagen, weil sie sagen, es ist ja ganz selbstverständlich – damit haben sie auch recht.

Tatsächlich ist es so, dass, wenn man etwas nicht sagt, im Patienten ein Vakuum entsteht. Und dieses Vakuum füllt jemand, der krank oder gestresst ist oder der Angst hat, mit seinen eigenen Vorstellungen.

Also wenn ein Arzt oder eine Ärztin nicht sagt: „Wir hatten so gehofft, dass es besser wird“ oder „Ich hätte Ihnen so gerne eine bessere Nachricht gebracht“ – wenn man das nicht sagt, dann kommt beim Patienten an: „Das ist dem ganz egal. Der bringt mir diese Nachricht und das interessiert den gar nicht.“ Oder wenn Chirurgen Aufklärungsgespräche führen, dann sagen sie nicht – und ich plädiere dafür, dass sie es tun - „Ich tue mein Bestes“ oder „Ich gucke mir das genau an und mache, was ich kann. Ich höre nicht auf, bis ich das Gefühl habe, hier ist das Bestmögliche erreicht.“ Wenn man Patient:innen nach ihrem Erleben fragt, dann sagen sie: „Der hat mich behandelt wie eine Nummer, der macht das immer.“  Das stimmt ja im Prinzip insofern, als dass es Routine ist, dass sich die Behandelnden immer Mühe geben. Aber sie sagen es nicht. Insofern entsteht bei den Patient:innen das Gefühl „Ich bin nur eine Nummer, der zieht seine Routine ab und ich werde nicht gesehen.“ Wenn man einmal für dieses „Gesehen werden,“ sensibilisiert wird, ist es ganz einfach, und es braucht auch nicht viel Zeit und ist keine große Kunst.

CLS (11:30): Das erfordert auch eine Einstellungsänderung sich selbst gegenüber, dass man immer wieder transparent darüber spricht und sich auch bewusst macht, was man tut.

Jutta von Campenhausen: Eine große Rolle spielen die Emotionen. Die Ärztinnen und Ärzte werden geschult, die Fakten zu erklären und dafür ein Einverständnis zu bekommen oder eine Therapie zu planen. Das ist alles so schön  sachlich, und über Sachliches zu reden, ist auch angenehm. Aber das, was am Ende das Vertrauen schafft und dazu führt, das Patient:innen bei ihrer Therapie gut mitmachen, das geht über die Emotionen.

Wenn man sagt: „Das hört sich erstmal unheimlich an, aber …,“  macht man deutlich, dass man die Gefühle des anderen wahrnimmt. Das hat eine ganz andere Qualität als einfach nur ein Rezept auszuschreiben.

CLS (12:40): Einfach, aber doch so schwierig. Eine ganz andere Frage: Wie kam es eigentlich, dass Dr. Eckart von Hirschhausen das Vorwort für Ihr Buch geschrieben hat?

Jutta von Campenhausen: Ich habe ihm das Manuskript zu lesen gegeben, und er mochte es. Wir kennen und schätzen uns und unsere Arbeit und sind im gelegentlichen Austausch.

CLS: (13:08): Sie haben ja selber ein schwerbehindertes Kind. Inwiefern haben Ihre Erfahrungen für den Entschluss, dieses Buch zu schreiben, eine Rolle gespielt?

Jutta von Campenhausen: In der Tat war meine Hauptmotivation für dieses Buch, dass ich gesehen habe, dass Ärzt:innen unglaubliche Probleme mit der Kommunikation haben. Ich habe ein behindertes Kind, das nach der Geburt fünfeinhalb Monate auf der Intensivstation lag. Und ich habe fünfeinhalb Monate auf der Kinderintensivstation gesessen – in einem Fünf-Bettzimmer. In dieser Zeit habe ich wahnsinnig viel erlebt. Da ich meinen Sohn stillte, wurde ich nicht rausgeschickt bei Konsilen oder Eingriffen bei den anderen Patient:innen. So konnte ich wunderbar zuhören, wie die Ärzt:innen untereinander sprechen. Wenn dann die Eltern reingebeten wurden, erklärten ihnen die Ärzt:innen, was sie untereinander besprochen hatten. Aber das war ein vollkommen anderer Text!

Und ich habe immer gedacht: „Um Himmels willen, das kommt bei den Eltern nicht an!“

Deswegen habe ich beschlossen ein Buch zu schreiben darüber, wie es richtig geht. Das hat dann noch ein paar Jahre gedauert, bis ich Zeit gefunden habe. Auch bei mir gab in dieser Zeit Schlüsselerlebnisse von gescheiterter ärztlicher Kommunikation. Beispiel: Eine Sitzung wurde einberufen, um über unseren Sohn zu sprechen. Daran haben der Chefarzt teilgenommen, der Oberarzt, der Stationsarzt, die Pflegeleitung und die zuständige Krankenschwester – also fünf Medizinprofis plus mein Mann und ich. Und dann wurde ein Gespräch geführt, und mein Mann und ich waren ganz erleichtert. Wir hatten gedacht, es sei etwas Schlimmes, wenn sie uns so an den Konferenztiscch holen. Und wir haben Monate gebraucht, um zu rekapitulieren, dass sie uns etwas Schlimmes sagen wollten, nämlich „Ihr Sonn ist ein hoffnungsloser Fall, der stirbt eh. Wir schlagen vor, Sie geben kein Antibiotikum.“ Das haben sie sich aber alle nicht getraut zu sagen. Das auch zum Thema Zeitmanagement. Alle haben so nett rumlaviert und so schwammig gesprochen, dass wir es nicht verstanden haben. Das fand ich total eindrucksvoll, und es war mir bald klar, dass da richtig was fehlt. Und dass man den Ärztinnen und Ärzten einen Gefallen tut, wenn man ihnen beibringt, wie es geht, dass sie einfach lernen ein Gespräch so zu strukturieren, dass der Patient zum Zuge kommt, dass Vertrauen entsteht und dass meine Botschaft ankommt.

CLS (15:50): Das heißt, Sie haben also Ihre Erlebnisses so aufgeschrieben, dass jede:r etwas daraus mitnehmen kann, nicht nur Medizinstudierende, sondern auch gestandene Ärtz:innen und Ärzten. Sie haben das Buch in einem leichten Ton geschrieben und mit verschiedenen Textarten, Infotafeln zu Theorie, Erlebnisberichte, Einordnungen versehen. Wir empfehlen allen Ärtzinnen und Ärzten die Lektüre diese wunderbar zu lesenden, mit praktischen Beispielen unterstützenden Buches. Ich wünsche Ihnen nun erst einmal alles Gute und bis zum nächsten Gesundheitswirtschaftskongress, würde ich sagen. Vielen Dank!

Jutta von Campenhausen: Ich bedanke mich!

Hamburg, im April 2022

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Musik im Podcast: www.audiyou.de Markus Hildebrandt / Copyright Foto Dr. J. .v Campenhausen: privat / Titelfoto: Bertram Solcher für den Lohfert-Preis 2016 / Äußerungen unserer Gesprächspartner:innen geben deren eigene Auffassungen wider. Die Christoph Lohfert Stiftung macht sich Äußerungen ihrer Gesprächspartner:innen in Interviews und Beiträgen nicht zu eigen.

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