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Was können Krankenhäuser und Kliniken tun, um dem Fachkräftemangel wirkungsvoll zu begegnen?

24. Januar 2024

Lohfert-Preis

„Weniger Fachkräfte müssen immer komplexere Versorgungssituationen meistern“ – insbesondere die Pflege, die den Patienten und Patientinnen oft am nächsten steht, ist von den aktuellen Herausforderungen betroffen, so Sabine Brase. Die Geschäftsführerin Pflege – Bildung – Zukunft am Ernst von Bergmann Klinikum in Potsdam ist eine der profiliertesten Stimmen für die Belange der Pflege und hat einige Lösungsansätze parat. Im Podcast-Interview mit der Christoph Lohfert Stiftung sagt sie, sie sei „ziemlich optimistisch“, dass in den nächsten Jahren die richtigen Weichen gestellt würden (Die Aufnahmequalität müssen wir aufgrund technischer Probleme entschuldigen).

 

Sabine Brase, Jurymitglied für den Lohfert-Preis 2024 © Klinikum Ernst von Bergmann
Sabine Brase, Jurymitglied für den Lohfert-Preis 2024 © Klinikum Ernst von Bergmann

 

Sabine Brase war vor ihrer aktuellen Tätigkeit unter anderem als Pflegedirektorin am Klinikum Oldenburg tätig. Sie ist Master of Science Nursing, Dipl.-Pflegewirtin (FH), Coach (DGfC), Pflegediagnostikerin und wurde 2021 als Vordenkerin des Bibliomed-Verlags ausgezeichnet. Seit diesem Jahr ergänzt sie die Jury des Lohfert-Preises. Dessen Thema lautet in diesem Jahr: Fachkräftemangel als Impuls: Strategien zur Entwicklung und Stärkung des Gesundheitspersonals - ein guter Anlass für ein Gespräch.

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Was bedeutet gute Führung - und was hat das mit Personalgewinnung zu tun?

Sabine Brase: Ja, gute Führung wird landauf, landab diskutiert und unterliegt auch ein Stück weit den Strömungen der Wissenschaft. Wir haben Forschungsergebnisse, die immer auch Einfluss darauf nehmen, wie Führung gesehen wird und wie Führung umgesetzt werden soll. Was wir aber sehen, sind ...

... Trends in der Gesundheitswirtschaft, die mehr denn je darauf abzielen, dass Führungspersonen sich hinterfragen und über ihren Beitrag zur Attraktivität des Arbeitgebers oder auch über Arbeitsbedingungen und Führungsarbeit nachdenken müssen - weil wir letztendlich nicht nur einen Fachkräftemangel haben, sondern per se schon einen Arbeitskräftemangel. Und dieser trifft auf eine Zunahme von hochkomplexen Patientenversorgungssituationen ...

... auf Settings, die nicht mehr so stabil sind wie wir es noch vor 15 Jahren gedacht haben, und weitere Entwicklungen und Megatrends, Stichwort: Demografie, Singularisierung usw. Das heißt, wir haben hochkomplexe Führungssituationen, in denen sich alle Führungspersonen bewegen. Und der Gesundheitssektor per se ist noch mal dynamischer und stellt uns vor große Herausforderungen. Gute Führung heißt in diesem Sinne, die Trends zu kennen und nicht kalt davon erwischt zu werden, sondern sich damit strategisch normativ zu beschäftigen. Denn wenn man das macht, kann man sich zumindest ein paar Strategien überlegen, die dem entgegenwirken. Man kann im Prinzip auch ein Kompetenzniveau für sich selbst schaffen, um diesen Anforderungen entgegenzutreten und Lösungen zu entwickeln.

Es gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten, was auf gute Führung einzahlt: Das fängt an bei einer werteorientierten, beziehungsorientierten Führung.

Das heißt, die Führungsperson muss ihre Leute kennen. Das meint jetzt nicht, dass ­ich alle kennen muss. In meinem Betrieb sind zum Beispiel 5.000 Beschäftigte. Die kann ich gar nicht alle einzeln kennen - aber den engeren Bezugskreis und auch die Nachgeordneten kenne ich sehr wohl. Man kennt die Teams, in die man geht. Und ..

... bei den Personen, mit denen man enger arbeitet, sollte man sich nicht nur auf professionelle Kompetenzen beschränken, sondern eine wirkliche Beziehungsarbeit realisieren.

So weiß man, was den Menschen ausmacht, wie er seinen Beitrag leisten für unseren Betrieb und unsere Organisation kann und wie er sich bestmöglich entwickeln kann. So realisiere ich Führung, indem ich die Bedingungen für die Menschen schaffe und ihnen ermögliche, Wachstum und eigene Perspektiven im Arbeitsleben zu realisieren.

4:27 - Warum das Thema Wertschätzung so wichtig ist

Sabine Brase: Das haben wir letztens im Team diskutiert. Es gibt sehr gute Literatur dazu, weil Wertschätzung aus verschiedenen Perspektiven Unterschiedliches bedeuten kann. Also man kann die eigene Belegschaft empowern, sich selbst über verschiedene Strategien wertzuschätzen. Und man kann auch die Wertschätzung, die von den Führungsebenen erwartet wird, verstärken. Das geht über persönliche Kontakte, das ist Einflussnahme, Partizipation. Das sind verschiedene Ebenen, die man da bedienen kann.

Die Führungsebene ist auch aufgefordert herauszufinden, was Wertschätzung für die eigene Belegschaft ausmacht und woran sie messen kann, ob sich die Mitarbeitenden wertgeschätzt fühlen.

Denn darin sind wir individuell. Aber es gibt Annahmen, die man grundsätzlich realisieren kann. Und diese Wertschätzung zu erfahren und herauszuarbeiten, was für jede:n persönlich Wertschätzung bedeutet, das ist die Führungsarbeit - und das ist im Prinzip auch der Hebel.

05:52 -  Stichwort New Work und Partizipation: Über Führung und Management-Trends im Gesundheitsbereich

Sabine Brase: Es gibt ja ungefähr zehn, zwölf Megatrends, die global wirken und uns auch im Arbeitsleben tangieren. Das ist so ein Trend wie New Work. Das ist ein Trend der Generation, das ist der Trend der Singularisierung und der Individualität.

Die Menschen möchten als Individuum betrachtet werden und sich auch entsprechend in die eigene Organisation einbringen können. Das ist ein Stück weit ein Dilemma, weil eine Organisation ja Ordnung, Regeln und eine Struktur braucht. Und da ist dann die Frage, wie ich hier trotzdem Individualisierung zulassen kann. Das ist es, was ich eingangs auch mit Führungsarbeit meinte - ein Maß an Individualität zuzulassen und trotzdem die Struktur beizubehalten – Stichwort Ambidextrie.

Diese Megatrends bewegen die ganze Welt. Sie dauern auch länger an, das ist nichts, was nur über ein Jahr geht. Sondern das sind Trends, die uns zehn Jahre begleiten. Und das bedeutet, dass ich mich damit auch auseinandersetzen und dafür Lösungen entwickeln muss. Das sind, wie gesagt, die Trends der neuen Generation und aller, die noch kommen.

Die Diskussion hatten wir schon immer. Aber jetzt sind die Rahmenbedingungen anders. Das heißt, die jungen Menschen dürfen uns schon sagen, wie sie arbeiten möchten und was sie von Arbeit erwarten. Die Arbeitgeber sind gut beraten, sich das anzunehmen und zu schauen, wie wir solche Erwartungen miteinander abgleichen und auch ermöglichen können. Wir wissen, dass andere Betriebe da schon weiter sind, fortschrittlicher, moderner. Die Gesundheitsbranche kommt immer ein Stück weit hinterher. Aber - was ich auch in meinen Kliniken zeige -  es gibt durchaus Ansätze, die wir realisieren können.

Mich freut es, dass jetzt auch andere Krankenhäuser, Kliniken und Gesundheitseinrichtungen nachziehen - wohl auch, weil dieser Trend doch sehr dynamisch ist und auf die Organisation einwirkt. Das heißt, Fachkräftemangel drückt eben auch, weil die Zukunft des Unternehmens daran hängt. Und man muss sich bewegen und man muss neue Wege gehen. Und diese Trends, wie gesagt, die begleiten uns dabei.

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08:19 - Über geeignete Wege aus dem Fachkräftemangel

Sabine Brase: Ich bin ja jetzt seit letztem April in diesem Unternehmen, das heißt seit einem knappem dreiviertel Jahr. Ich sage mal, ich begleite die Unternehmen ja. In den letzten Unternehmen, wo ich war, habe ich ja auch Maßnahmen unternommen, wie der Fach- und Arbeitskräftemangel behoben werden kann. Das heißt, ich habe ein ziemliches Spektrum, wie die Kultur in der Organisation, regionale Besonderheiten und die eigene Berufsidentität in der Pflege und anderen Berufsgruppen zusammenwirken. Daraus entwickle ich Strategien für meine Klinik und meinen Verantwortungsbereich.

Das sind im Prinzip fast immer auch gleiche Ansätze, die natürlich unterschiedlich priorisiert sind. Jetzt in der Region Berlin/Potsdam habe ich beispielsweise eine andere Erreichbarkeit und Regionalität, als wenn ich jetzt im Nordwesten Niedersachsens mein Krankenhaus habe und auf dem Arbeitsmarkt bestehen muss.

Es sind unterschiedliche Ansätze, die man dann passgenau für seine Organisation entwickelt. Das ist das, was Führungsarbeit hier ausmacht: nach der Analyse und Organisationsdiagnostik die entsprechenden Maßnahmen abzuleiten.

09:44: Ihre Frage zielt wahrscheinlich auf konkrete Maßnahmen ab. Ich schaue zum Beispiel, wie viel Personal ich zur Verfügung habe, was sind stille Reserven? Wie schaffe ich es zum Beispiel, Menschen aus Elternzeit in den Betrieb einzubinden - während der Elternzeit und auch danach. Wir wissen aus der Pflege, das gerade die Elternzeit dazu beiträgt, sich auch beruflich noch mal komplett neu zu orientieren, weil Prioritäten sich verändern.

Und da ist der Betrieb gut beraten, attraktive Lösungen zu schaffen, beispielsweise mehr Arbeitszeitflexibilität - da wo es geht, Homeoffice Möglichkeiten zu schaffen, um hier Beruf und Familie übereinzubringen. Oder auch die Pflege von Angehörigen, was immer mehr in den Fokus gerät. Denn wir wissen, dass Langzeitpflegeeinrichtungen nicht mehr komplett im umfassenden Maße zur Verfügung stehen. Also ein Ding wird sein, Menschen im Betrieb zu halten mit den unterschiedlichen Maßnahmen: Arbeitszeitflexibilität, attraktive Arbeitsbedingungen - das meint so etwas wie Ausstattung, Equipment, Raumatmosphäre, Betriebskultur, Arbeitsteam, Führungserleben.

Wir wissen ja, dass, wenn Menschen gehen, sie meistens auch wegen der Führungskultur gehen.

Im Team orientiert man sich zwar noch ganz gut. Es gibt ein Wir-Gefühl, man steht füreinander ein, gerade auch in der Pflege. Aber wir wissen, dass, wenn die Führung das nicht abbildet, sich die Menschen umorientieren. Hier geht es darum, auf gesunde Führung zu setzen, Führung auch noch mal unter diesen Besonderheiten und Veränderungen, die sich jetzt ergeben, zu trainieren - die Führungspersonen darauf vorzubereiten. Und wir haben Führungspersonen, die sehr lange in Amt und Würden sind, sich aber vielleicht nicht immer aktuell gehalten haben - sie gilt es, jetzt wieder abzuholen und gerade generationenübergreifende Konzeptionen noch mal zu machen. Oder wir haben Menschen, die sehr jung in Führung sind, die vielleicht in Führung gekommen sind, ohne entsprechende Qualifikation - das noch mal zu hinterfragen und einen Kompetenzerwerb zu ermöglichen, damit sie gute Führung realisieren können. Das sind alles sehr detaillierte Hebel, aber sie führen insgesamt zu einem Mechanismus, der die Menschen im Betrieb bindet.

Ein weiterer guter Faktor ist es, immer ein offenes Ohr zu haben, wenn Menschen mit einem sprechen wollen, egal, auf welcher Hierarchieebene.

Also ich setze zum Beispiel regelmäßig Termine ein zu Meet & Greet. Jede:r kann sich bei mir Termine buchen, sodass man mir eine Rückmeldung geben kann. Man kann sich am Betrieb beteiligen im Sinne eines Ideenmanagements, eines Vorschlagsmanagements. Man kann in den Austausch gehen. Ich stelle im Prinzip auch sicher, dass Vorgesetzte erreicht werden, wenn der Schuh drückt und man eine schnelle Entscheidung von jemandem braucht.

Das trägt alles dazu bei, die Kultur der Organisation zu verändern und so attraktiv zu machen, dass man sagt: „Also rechts und links, in den Krankenhäusern könnte ich ja auch arbeiten. Aber es ist eigentlich viel schöner, hier in diesem Betrieb zu arbeiten.“

12:37: Das zieht sich durch alle Ebenen und das betrifft alle Führungsebenen, aber auch die Individuen selbst. Das heißt, ich spreche auch mit Einzelpersonen in solchen Situationen und gebe im Prinzip auch Hinweise darauf, wie sie auch über ihr Verhalten beitragen können, dass sich Situationen verändern. Ich bin ja auch ausgebildeter Coach, das hilft einem dann in solcher Situation, in der Methodik das zu spiegeln und auch anzuraten, sodass die Menschen daran weiterarbeiten können.

Also es ist ein bunter Blumenstrauß an vielen Maßnahmen, der sich über Recruiting, fachlicher Qualifikationen, Berufskarrieren, Verbleib im Beruf komplett durchzieht. Auf alle diese Parameter zahlt das ein, was wir hier machen.

13:26: Ich habe jetzt hier einen Bereich zum Thema Praxisentwicklung etabliert. Das meint zum Beispiel die Professionalisierung und Akademisierung der Pflegenden. Wir haben ja inzwischen international ein Stück weit den Anschluss verpasst, weil wir in Deutschland dem noch gar nicht entsprochen haben, dass der Wissenschaftsrat sagt, zehn bis 20 Prozent der Pflege soll akademisch qualifiziert sein, weil sich das Patientenklientel komplett wandelt. Und das haben wir noch länger nicht geschafft. Die Gesetzgebung unterstützt das inzwischen. Aber wir brauchen auch Betriebe, die das unterstützen und Pflegedirektionen, die das vorbereiten und ermöglichen.

Und da habe ich jetzt hier zum Beispiel eine Abteilung geschaffen für Pflegende, die sich per se für ein Studium und eine akademische Laufbahn interessieren, die am Patienten bleibt und eine klinische Tätigkeit ermöglicht. Und das sind eben auch Unterstützungsmöglichkeiten beim Studium. Ob das jetzt finanziell, organisatorisch oder inhaltlich ist, indem ich beraten werde oder bei einer Facharbeit oder Bachelorarbeit auch Themen-Abstimmung haben kann und Kooperationen ins In- und Ausland.

Also wir machen eine Vielzahl von Dingen, die darauf einzahlen, kurz und mittelfristig, aber viele eben auch noch längerfristig, wenn es ums Studium geht und Qualifikationen. Das wird sich dann in fünf bis zehn Jahren zeigen, wie das die Kultur des Hauses auch verändert.

14:52 - Apropos Pflegeberufegesetz und Pflegestudium-Stärkungsgesetz

Sabine Brase: Also ich glaube, die Lücke, die jetzt geschlossen wurde, ist die, dass -  wenn man sich primär über ein Pflegestudium qualifiziert in der Berufswahl und den Beruf so antritt -, dass wir dort ermöglicht haben, dass ich eine Ausbildungsvergütung, ein Ausbildungsentgelt erhalte. Das war jetzt noch mal das, was Pflegende benötigt haben. Das, was zuvor viele abgehalten hat zu studieren, war, man darauf angewiesen war einen Arbeitgeber zu finden, der mir irgendwie einen Praxisbeitrag bezahlt oder ich andere finanzielle Möglichkeiten im Rahmen der Familie finde. Das haben nicht alle jungen Menschen. Das ist jetzt noch mal der Schulterschluss – da schließt sich jetzt die Lücke. Das heißt, wir haben jetzt von der Einmündung in den Pflegeberuf an alle Möglichkeiten. Und die Durchlässigkeit ist trotzdem gegeben. Das bedeutet, wenn jemand sagt, ich interessiere mich für eine Pflegeausbildung im herkömmlichen Sinne, dann ist das weiter möglich.

Aber wenn ich sage, ich möchte mich gleich auf einem akademischen Niveau qualifizieren, mit einem akademischen Abschluss - wie wir ja wissen, auch der Trend geht hin zum akademischen Abschluss, die Eltern drängen darauf, die jungen Menschen erwarten sich davon mehr. Und ja, viele haben noch nicht vor Augen gehabt, dass es das Pflegestudium gibt. Dann zielt das jetzt darauf ab, diese Lücke zu schließen und Menschen auch zu motivieren, das Pflegestudium auf sich zu nehmen.

Für uns als Arbeitgeber ist es deshalb interessant, weil man nicht mehr selbst in Vorleistung treten muss, sondern jetzt eine Regelung gegeben ist. Zur Notwendigkeit der Akademisierung - das wollte ich eigentlich in der vorigen Antwort gesagt haben: dass die Veränderungen, die wir haben, notwendig sind. Ich glaube, das ist unbestritten. Es geht jetzt nur noch darum, wie wir das etablieren. Und deswegen freuen wir uns über die gesetzlichen Regelungen und unterstützen das hier.

Wir bereiten letztendlich unsere Pflegepraxis darauf vor, dass Menschen mit unterschiedlichen Abschlüssen an einer gemeinsamen Aufgabe, nämlich der Patientenversorgung, arbeiten. Das ist deshalb so spannend, weil wir eine Binnendifferenzierung in der Pflege haben.

Da kann im Prinzip von einer Pflegehelferin mit einjährigen Examen, also einer Krankenpflegehelferin/-helfer bis zum APN-Masterabschluss (A.d.R.: APN - Advanced Practice Nurses) bis zum Doktor jede:r direkt in der Patientenversorgung eingesetzt werden. Und das bedeutet eben auch, dass man jetzt wieder über das Management schaut, wenn ich Patienten habe, die einen hochkomplexen Versorgungsaufwand haben, dass ich dort auch die Pflegepersonen einsetze, die das höchste Know-how für diese Situation haben. Und das macht es im Prinzip jetzt noch mal komplexer.

Also man kann nicht mehr davon ausgehen, dass mein Personal hundert Prozent gleich qualifiziert ist, sondern es differenziert sich weiter aus. Aber es ist der Trend, den wir auch international sehen und dem wir hier entsprechen wollen, weil es zur Patientenversorgung beiträgt.

Presseinfo: Sabine Brase neu in der Jury

Sie müssen das so verstehen: Das, was ich jetzt diskutiere, ist im Prinzip eine berufsinterne Diskussion, die sich da ergibt. Parallel laufen ja die ganzen Abstimmungen in einem Versorgungsteam mit Therapeuten und Ärzten zusammen, die jeweils auch ihre eigenen Perspektiven mit reinbringen. Das heißt, die Patientenversorgung kann eigentlich aus so vielen Perspektiven gesehen werden und jede Perspektive hat auch ihre Berechtigung, aus der dann darauf geschaut wird. Und man schreibt der Pflege ja zu, dass sie 24/7 immer am Patienten ist. Das heißt, sie ist die, die am direktesten dran ist und die Dinge auch zusammenführen kann. Diese Möglichkeiten sind jetzt mit der hochschulischen Ausbildung eben noch mal manifestiert. Und wir freuen uns, dass das jetzt endlich initiiert wird, weil dieser Akademisierungsprozess ja auch noch Jahrzehnte dauern wird.

19:16 - Warum auch Mediziner:innen von den neuen Kompetenzen der Pflegenden überzeugt sein werden

Sabine Brase: Es ist unterschiedlich mit den ärztlichen Kolleg:innen. Und das ist auch mein Optimismus und meine Zuversicht an der Stelle.

Diejenigen, die die Megatrends in ihrer eigenen Profession beobachten, wissen, dass wir nicht mehr drum herumkommen, Aufgaben und Versorgungsverantwortung anders zu verteilen und auch anders vorzugehen.

Und diejenigen der Medizinerinnen und Medizinern, die im Ausland gearbeitet haben, kennen diese Modelle und kennen auch die Vorteile. Was es beispielsweise bedeutet, wenn ich mich darum nicht mehr um das Einzelne kümmern soll, sondern ich darf im OP stehen. Ich mache meine Eingriffe und muss nicht administrative Prozesse machen oder Patient:innen aufklären. Die kann jemand mit einer anderen Qualifikation ebenfalls übernehmen. Bei uns sind es ja gesetzliche Regelungen, die uns hemmen, das komplett neu zu strukturieren.

Das heißt, es gibt eine Gruppe von Mediziner:innen, die das sehr befürwortet und dem offen gegenüber ist. Und die lotet man auch aus an meiner Stelle, wenn ich solche Implementierungsprozesse haben möchte, dass ich natürlich an dieser Stelle anfange und für positive Umsetzungsergebnisse sorge und die Menschen in der Praxis auch positiv miteinander erleben, was das bedeutet.

Und wir haben auch eine Gruppe von Ärzt:innen, die da zurückhaltend ist, Vorbehalte hat. Und dort setzen wir an, dass wir zum Beispiel gemeinschaftliche Projekte machen. Also in meiner letzten Klinik hatten wir das Projekt IPSTA. Das ist eine interprofessionelle Ausbildungsstation, wo Mediziner:innen, Therapeut:innen, Pflege und MFA zusammen in die Ausbildung gehen. Das heißt, man arbeitet temporär befristet auf einer Station, wo man diesen Perspektivwechsel und die Interprofessionalität live erlebt und gemeinsam reflektiert.

21:25: Und gerade dieses Stadium - alle sind in der Ausbildung, alle sind neu - führt dazu, dass die Berufsgruppen aneinander herangeführt werden und im späteren Berufsverlauf Hierarchie abgebaut ist. Da gibt es auch Literatur zu ­- weil ich evidenzbasiert arbeite - und das kann man auch messen. So gibt es Skalen, um vor der IPSTA-Erfahrung zu messen: Wie stehen die Kolleg:innen zur Interprofessionalität? Dann durchlaufen sie solche Settings und messen hinterher wieder. Dann hat man auch den Nachweis, dass interprofessionelle Kompetenz sich dadurch erweitert. Wenn ich das als Initiatorin gesehen habe, mit welcher Freude, mit welcher Offenheit die Berufsgruppen sich begegnen, wie die Kolleg:innen, die so ein Teaching übernehmen, sich aufeinander abstimmen und miteinander ins Tun kommen, das macht Hoffnung für das, was wir eigentlich brauchen.

Wir brauchen im Prinzip ein Fundament an gemeinsamer Ausbildung, dass man die Interprofessionalität im Alltag stärkt und wir dahin kommen, dass man nicht mehr über Kompetenzgerangel spricht, sondern: Wer kann es am besten? Wer hat jetzt die Ressourcen? Was braucht mein Patient, meine Patientin, um den Patientenfokus wirklich zu erhöhen und sich komplett auf den Patienten zu fokussieren und dann alles andere dem unterzuordnen.

Da wären wir gut beraten, und das ist super, wenn die Leute daraufhin trainiert werden.

22:58 - Eine Vision für die Pflege im Jahr 2030 ..

Sabine Brase: Das ist ja nicht mehr allzu lang. Für das, was wir vorhaben, brauche ich wahrscheinlich mehr Vorlauf. In 2030 haben wir hoffentlich viele Studierende. Die Studiengänge sind voll, die Unis müssen nicht mehr händeringend um ihre Studierenden kämpfen. Und wir haben volle Hörsäle. Und die Arbeitgeber, das heißt Krankenhäuser und Pflegedirektionen sind aufgestellt, diese Pflegenden auch in der Praxis ankommen zu lassen, Aufgabenfelder zu verorten, wo man auch eine eigene Verantwortung übernehmen kann. Und wir sind hoffentlich auch dabei vorangekommen, Gesetzgebung diesbezüglich zu verändern. Es hat auch der Blick ins Ausland gezeigt: Aus einem Mangel sind dort diese Verantwortungserweiterungen passiert. Zum Beispiel, dass Rettungssanitäter auch Medikamente verschreiben dürfen usw. zum Beispiel in Großbritannien. Oder Amerika: Es ist ja wirklich noch Jahrzehnte hin, bis wir da sind. Und wenn man das sieht, wohin sich Pflege entwickelt, dann stimmt mich das ziemlich optimistisch, und wir müssen in den nächsten Jahren die Weichen dafür stellen.

Und deswegen setze ich mich dafür ein, dass endlich die Akademisierung und das, was hier in Deutschland möglich ist, schon mal realisiert wird. Und dass wir berufspolitisch Einfluss darauf nehmen, was wir brauchen, um unsere Berufsgruppe auch noch weiter zu etablieren - im Schulterschluss mit allen anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen, Therapeut:innen, Hebammen und sonstige. Also es ist eine Gesamtschau und ...

... wir werden dazu kommen, dass wir neu definieren, wer hat welche Kompetenz, was braucht mein Patient - und nur danach werden wir uns richten.

Zum Instagram-Account von Sabine Brase

24:43 - Zuguterletzt: Warum Instagram?  

Sabine Brase: Also meine Erfahrung hat gezeigt, dass, bevor ich selbst in der Pflegedirektion gearbeitet habe, man gar keine Gelegenheit hatte, eine Pflegedirektion kennenzulernen. Das heißt, man wusste nicht, wie arbeiten die eigentlich? Was machen die eigentlich den ganzen Tag und womit sind Pflegedirektionen konfrontiert? Jetzt haben wir eine Offenheit, die man zeigen kann. Leute, die mir länger folgen, die sehen die Steps, die ich unternehme und können im Prinzip das für sich selber reflektieren und ähnliche Projekte anstoßen.

Also oft ist ja die Frage: „Ist das jetzt nur ein PR-Gag oder was weiß ich, was die da alles macht? Kann das alles sein?“ Dann sage ich: „Komm vorbei und guck´ es dir an!“ Ich habe in den letzten fünf bis sieben Jahren fünfzig Men schen durch meine Pflegedirektion gebracht. Sie haben mit mir eng gearbeitet. Sie saßen neben mir, haben hospitiert. Weil alles, was sie da (auf Instagram) lesen, geht hier eins zu eins. Natürlich, die Durchdringung dauert. Wir werden deswegen ja  Social Intranet machen. Das heißt, die Beiträge, die ich dort positioniere, kommen dann auch bei einzelnen Mitarbeitenden - wenn gewünscht - auf dem Handy an. Sie können das kann auch mit mir diskutieren.

Also wir werden ganz andere partizipative Ansätze fahren. Und ich habe ja auch Menschen, die mir auf Insta und überall schreiben, um mit mir in den Austausch zu gehen, auch von meinen eigenen Leuten. Das ist total spannend.

25:58: Natürlich wirkt das immer auch auf PR mit ein. Es wirkt immer auch auf Recruiting. Das heißt, ich habe genug Menschen, die auch zu mir kommen, weil sie wissen, was hier läuft und weil sie eine Ahnung davon haben, was ich realisieren will. Aber wir wissen ja auch aus der Pflege heraus, dass man sich in 20 bis 30 Kilometer Radius bewegt. Also wenn Sie jetzt ein Drei-Schicht-System haben, werden Sie nicht 80 Kilometer anfahren oder Sie werden nicht umziehen, um in der Pflege zu arbeiten. Das sind dann meistens höhere Positionen, für die die Menschen dann schon mal sagen: „Okay, dann kann ich mich vielleicht von Hessen auch nach Brandenburg bewegen für interessante Stellen.“ Also das sieht man schon. Und wie gesagt, Transparenz ist da. Die Menschen lernen was, ich komme in den Austausch und wer was von mir lernen will, der kann ich das anschauen. Und ja, ich glaube die Follower geben mir da recht.

Potsdam/ Hamburg, im Januar 2024

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Nach dem Interview verrät uns Frau Brase noch einen weiteren Plan: Als Expertin für moderne Managementansätze und Vordenkerin für ein neues Selbstverständnis der Pflege kann sie auf ein großes Strategie - und Maßnahmen-Repertoire zugreifen. Um dieses interessierten Kolleg:innen leichter zur Verfügung stellen zu können, ist sie gerade dabei, einen Handlungsleitfaden zur schreiben. Step by Step will sie die Umsetzung der verschiedenen Lösungswege in die Praxis beschreiben – wir wünschen auch dabei viel Erfolg!


Moderation: Tanja Brunner / Redaktion & Produktion: Julia Hauck / Headerfoto: Bertram Solcher für den Lohfert-Preis 2019 / Musik im Podcast: www.audiyou.de Markus Hildebrandt / Äußerungen unserer Gesprächspartner:innen geben deren eigene Auffassungen wider. Die Christoph Lohfert Stiftung macht sich Äußerungen ihrer Gesprächspartner:innen in Interviews und Beiträgen nicht zu eigen.

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